Marianne Wulms-Hovens: Welche Farbe hat Missbrauch?

Übersetzung Marianne Delmee, Dank an Jane Dunker für die Korrekturen!

ROERMOND – Die erste Ausstellungspräsentation des internationalen Projekts mit diesem Titel wurde in der Marienkirche in Düren bei Aachen der Öffentlichkeit vorgestellt. In einer Zeit, in der viele Kirchen ihre Bestimmung als Gotteshaus verlieren und eine neue Funktion zugewiesen bekommen, ist die Wahl auf diesen Ort der Spiritualität eine goldene Wahl. Ein jeder, der die Kirche während der Öffnungszeiten betritt wird bald erfahren, dass hier etwas gezeigt wird das mehr ist als eine gewöhnliche Ausstellung.

Religion und der verletzlicher Mensch, Glauben und geschändetes Vertrauen, Opferzeremonien,  Offenbarung, Schuld bekennen und erkennen und die Forderung nach Transparenz, das sind mutige Themen, die in einer „Toleranz -Zone“ gezeigt werden von einem Kollektiv leidenschaftlicher Künstler. Besucher, die friedliche Szenen erwarten, werden enttäuscht sein. Hier werden keine süßen Gänseblümchen im Gras als ein Symbol der Tugend gezeigt. Es kann schockieren, die angebotenen Arbeiten zur Kenntnis zu nehmen. Die Erlösung der Menschheit durch die Eucharistie ist ausgeblieben, Missbrauch konnte schweigend stattfinden. Teilnehmer Jo Stein verdeutlicht diesen Sachverhalt mit seiner Arbeit „Where are u (God)?“

Agnus Dei und die nackte Maria

Es war der Prophet Jeremiah, der ( in 29,12 ) sagte: „Du wirst zu mir zurückkehren, um unterstützt zu werden und ich werde deine Gebete erhören“. Das Gute und das Böse faszinieren die niederländische Künstlerin Raquel Rodrigo Iglesias, sie zieht ihre Inspiration aus den Texten von Psalmen. Und es ist Pfarrer Hans- Otto von Danwitz, der einen milden Kurs innerhalb der katholischen Kirche zeigte. Marianne Delmee hat eine neue Richtung in ihrer Karriere als Malerin eingeschlagen, mit einer Installation in der eine nackte Maria einen Teil ausmacht. Die Mutter Gottes legt ihr ganzes Wesen offen zu Tage, aber diese Malerei wurde nicht verteufelt. Im Gegenteil, sie war sogar Bestandteil in der Predigt während des wöchentlichen Gottesdienstes. Der Pastor sprach seine Wertschätzung aus für das große Interesse an der Eröffnung und für die gezeigten Kunstwerke. Eine lokale Zeitung titulierte am 15. Oktober „Der unaussprechliche stille Schrei des Entsetzens“. Ein Zeichen ist jetzt gegeben, der Dialog hat angefangen. In religiösem Kontext kamen Gedanken in Einklang auf das Lamm Gottes. In Latein heißt es das Agnus Dei. Es ist ein Verweis auf Jesus Christus in seiner Opfer- Rolle als Versöhner für die Sünden der Menschen innerhalb der Religion. In der Kathedrale von Gent (Belgien) ist das Lamm Gottes als gemaltes Kunstwerk zu sehen dank der Brüder Hubert und Jan van Eyck. Das Opfer des Lammes, Blut des Lammes, Lamm das ein Kreuz trägt , „sich wie ein Lamm fühlen“ sagt man in Holland. Letzteres ist sicherlich der Fall, wenn eine Frau bis auf nur eine Haut reduziert wird, beraubt wird von dem Stolz ihrer Weiblichkeit.

Die fleischlich wiedergegebene Puppe, eine Schaffung von Marianne Delmee, ist wie eine biblische gefallene Frau. An der Stelle, an der  der Priester während der Messe das Brot bricht, am Altar, ist eine Aussage gemacht. Hier liegt sie, nur Haut ist ihr geblieben. Kaputt gestochene weiße Luftballons markieren als zarte Blütenblätter die Treppe, verletzte, zerstreute, geschändete Makellosigkeit, eine Arbeit von Jane Dunker. Anderswo in der Kirche zeigt sie grafisches Fotodesign, eine Installation die aus 36 Segmenten besteht.

Unterschiedliche Formen der Visualisierung als Bildträger

Im Rahmen des Projektes spielt der Ort eine wichtige Rolle. Teilnehmer Raquel setzt den Ausdruck, den sie auf Leinwand zeigte, mit dem einfachen Material Plastik fort. Rund um eines  der Pilaster in der Kirche zeigt sie im Stil der Arte Povera, wie man mit einem eindringlichen Porträt in kräftigen weißen Linien eine sozial kritische Haltung einnehmen kann, einen Aufruf zur Transparenz. Alles beginnt rein, daher ihre Wahl der Füße als Symbol von Macht, Recht und Unterwerfung. Weiß gefärbte Zeitungen von Marianne Delmee geben kein Wort Preis, weil die Presse schwieg, bilden ein zeitgenössisches Kunsterzeugnis. Über die Farbe des drei Meter hohen Schutzmantels von „ihrer“ Maria kann man unterschiedliche Meinungen haben. Hier wurde sich nicht für die Farben blau und rot entschieden, sondern für grün und gelb, Farben die man sowohl positiv, als auch negativ interpretieren kann. Wer auch keine heilige Kühe schlachtet, sondern einen alternativen Protest gewählt hat, ist Wort-Künstler Andreas Classen, der mit Kreisen Markierungen auf einem Baum des Lebens präsentiert. Arlaque de Clerque, bekannt für ihre starken expressiven Gemälde, Abstraktionen in rot, schwarz und weiß, in Intensität miteinander um die Vorherrschaft kämpfend, zeigt hier eine Installation. Weiße und schwarze Puppen, ein Gerüst, ein Kinderwagen, als ob die Menschheit den Göttern überlassen wurde. Schöne Fotos ergänzen das Bild. Innerhalb der kirchlichen Umgebung werden diese Wandobjekte verstärkt durch ein großes hölzernes Kruzifix. Jutta Gigler wählt die Ironie als Waffe in farbigen Arbeiten in Pop-Art Stil, in denen sowohl Materialien als auch die Ausführung stark an die Phantasie appellieren. Die versiegelten Lippen Bettina Barnes sind wie ein Keuschheitsgürtel mit Schloss. Das abgeschlossen und eingesperrt sein ist ausdrucksvoll zu sehen in den Fotoarbeiten von Cem Bayoglu. Auf eine kunstvolle Weise zeigt er  die Gewalt gegen Frauen und wie die Erinnerung daran diese Frauen ungewollt für das Leben kennzeichnet. Bei Philippe Smets sind Augen wie in eine Maskerade abgeschirmt, bei  Jo Stein in  bewegter Emotion. Letzterer initiierte im Jahr 2012 dieses internationale Projekt, wobei er von Marion Stein unterstützt wird. Cilly Baum ist deutlich pädagogisch eingestellt, die Kommunikation für ein besseres Leben ist, was sie anstrebt. Sie erzählt die schockierende Geschichte von Emma, als wäre sie die mythologische Antigone, appellierend an das einzelne Gewissen. Reflektion ist zu beobachten in den Arbeiten von Laura – Maria Kaminski, Moya Purple und in der Arbeit „Signatur“ von Alexandra Schütz .

Vom Märtyrer zu gesellschaftlicher Gleichwertigkeit

Die katholische Kirche kennt Märtyrer wie Marcellinus und Stephen. Manche für den Glauben Gefolterte erwiesen sich so heilig zu sein, dass er oder sie selig gesprochen wurde. Namen von weiblichen Märtyrern sind Blandina, Perpetua, Agnes und Cecilia. Und auch wenn sie meinten, sollten sie zunächst die irdische Schändung akzeptieren müssen, dann würde ihre Demut ihnen ermöglichen in ein Königreich einzutreten.  Kein irdisches Wesen jedoch, braucht die Demütigung eines Missbrauchs zu akzeptieren, weil diese, neben körperlichen, auch schwere psychische Schäden verursacht. Hier gilt das „Selig sind die Armen im Geiste“ und „Selig sind die Unwissenden“ nicht. Theologen von heute sollten diese Aussagen mal genauer unter die Lupe nehmen. Jeder und jede hat das Recht auf eine gleichwertige Behandlung in das zusammen Mensch sein. Im Foyer der Kirche verweisen Informationsstände wie der „Weisse Ring“ auf gezielte Opferhilfe. Der nächste Ort der Ausstellung ist das Vierscheibenhaus des WDR in Köln. In diesem hohen Gebäude ist das Verwaltungsbüro des West Deutschen Rundfunks untergebracht . An diesem profanen Ort wird das Layout der Ausstellung anders sein, aber nicht weniger eindringlich. Wie eine der ausstellende Künstlerinnen, Marianne Delmee, dazu sagt: „Die Ziele des Projektes sind groß – weitergehende und vertiefende Zusammenarbeit– es gibt schon konkrete Kontakte mit verschiedenen Orten und Ländern wie Belgien, Frankreich, der Türkei.  Um philosophisch festzustellen: “ Es ist schwierig in die Zukunft zu schauen, wichtig ist  gute Arbeit zu machen“. Und das ist ein sehr schönes Unterfangen für alle mit einer Vielzahl von Aktivitäten.

Die niederländische Originalfassung finden Sie hier.